In der Psychologie werden die Begriffe „Würde“ und „Selbstwert“ oft gemeinsam genannt, da beide eine zentrale Rolle dabei spielen, wie wir uns selbst verstehen und andere wahrnehmen. Trotz ihrer engen Verbindung gibt es jedoch wesentliche Unterschiede, die besonders im Alltag deutlich werden – insbesondere in Situationen, in denen wir Ungerechtigkeit erfahren oder innere Urteile über uns selbst fällen. Dieser Artikel beleuchtet die psychologischen Grundlagen von Würde und Selbstwert und untersucht, wie äußere und innere Angriffe unser Gefühl von Würde und Selbstwert unterschiedlich beeinflussen.
Was bedeutet „Würde“?
In der Psychologie bezieht sich Würde auf das Verständnis des inhärenten Wertes eines Menschen, unabhängig von seinen Leistungen, Erfolgen oder äußeren Faktoren. Carl Rogers, eine zentrale Figur der humanistischen Psychologie, beschreibt Würde als einen unveränderlichen, grundlegenden Wert, den jeder Mensch allein durch seine Existenz besitzt. Dieses Konzept, bekannt als „unbedingte positive Wertschätzung“, betrachtet Individuen in ihrer Gesamtheit als wertvoll, unabhängig von Fehlern, Schwächen oder gesellschaftlichen Urteilen. Würde ist etwas, das jeder Mensch in sich trägt, und wird oft als universell und unantastbar angesehen.
Auch Alfred Adler, der Begründer der Individualpsychologie, betonte den gleichen Wert aller Menschen. In diesem Kontext bedeutet „Gleichwertigkeit“, dass alle Menschen, unabhängig von Status oder Eigenschaften, denselben grundlegenden Wert teilen. Würde repräsentiert daher auch einen Anspruch auf Respekt und Anerkennung durch andere – ein Wert, der in zwischenmenschlichen Beziehungen immer Vorrang haben sollte.
Was bedeutet „Selbstwert“?
Im Gegensatz zur Würde ist der Selbstwert dynamisch und oft anfällig für äußere Einflüsse. Selbstwert beschreibt das persönliche Empfinden des eigenen Wertes und der eigenen Fähigkeiten. Er bezieht sich auf die subjektive Erfahrung von Kompetenz und Selbstakzeptanz und wird stark durch Erfahrungen, Erfolge und Misserfolge sowie durch soziale Rückmeldungen geprägt. Nathaniel Branden, ein bekannter Psychologe und Autor, definiert Selbstwert als: „Das Vertrauen in die eigene Fähigkeit, die Herausforderungen des Lebens zu meistern, und das Gefühl, Glück zu verdienen.“
Selbstwert ist somit weniger ein unverrückbares, inneres Prinzip und vielmehr das Ergebnis individueller Erfahrungen und deren Bewertung. Er ist oft veränderlich und kann durch persönliche Ereignisse sowie den Umgang mit Schwierigkeiten gestärkt oder geschwächt werden.
Der Unterschied im Alltag: Verletzungen der Würde vs. Probleme mit dem Selbstwert
Die Unterscheidung zwischen Würde und Selbstwert wird besonders in Situationen des Missbrauchs deutlich. Misshandlungen – ob verbal, emotional oder körperlich – zielen oft auf die Würde einer Person ab. Sie signalisieren, dass die Person nicht respektiert oder als „gleichwertig“ behandelt wird. Dies kann zu einer Verletzung des Würdegefühls führen, da das Individuum das Gefühl hat, dass ihm die grundlegende Anerkennung und der Respekt verweigert werden, die jedem Menschen zustehen.
Diese Verletzung der Würde muss jedoch nicht zwangsläufig ein Problem mit dem Selbstwert nach sich ziehen. Eine Person kann erkennen, dass das, was ihr widerfahren ist, eine ungerechte Missachtung ihrer Würde darstellt, ohne ihren persönlichen Wert in Frage zu stellen. Menschen mit stabilem Selbstwert können in solchen Situationen sagen: „Was mir angetan wurde, ist eine Verletzung meiner Würde und ein Akt der Respektlosigkeit. Aber es definiert nicht meinen Wert als Mensch.“
Dies verdeutlicht, wie Würde und Selbstwert unabhängig voneinander existieren können. Während die Würde durch äußere Einflüsse verletzt werden kann, kann ein starker Selbstwert intakt bleiben und das Individuum vor Selbstabwertung schützen.
Innere Urteile und der Selbstwert
Es gibt jedoch auch Situationen, in denen eine Person unter inneren Urteilen leidet, die den Selbstwert, nicht aber die Würde betreffen. Selbstkritik, Zweifel an den eigenen Fähigkeiten oder das Gefühl, „nicht gut genug“ zu sein, zielen direkt auf den Selbstwert ab. Diese inneren Urteile resultieren oft aus persönlichen Erfahrungen und der Interpretation von Erfolg und Misserfolg und können das Gefühl von Kompetenz und Selbstakzeptanz schwächen. Sie haben jedoch keinen Einfluss auf die Würde, da Würde ein unantastbares Grundrecht ist, das nicht von Urteilen oder Leistungen abhängig ist.
Eine Person kann sich unfähig oder wertlos fühlen, ohne ihre Würde in Frage zu stellen. Die Anerkennung, dass alle Menschen eine unantastbare Würde besitzen, kann sogar helfen, diese inneren Urteile zu relativieren und Selbstakzeptanz zu fördern. Würde erinnert uns daran, dass wir als Menschen immer wertvoll sind, unabhängig von unseren Zweifeln oder Fehlern.
Fazit: Würde und Selbstwert im Verhältnis
Zusammenfassend lässt sich sagen, dass Würde und Selbstwert zwar miteinander verbunden, jedoch in Psychologie und Alltag unterschiedliche Funktionen erfüllen. Würde ist ein unveränderlicher Wert, der jedem Menschen innewohnt und auf Respekt und Anerkennung durch andere abzielt. Selbstwert hingegen ist eine persönliche und dynamische Einschätzung des eigenen Wertes und der eigenen Fähigkeiten, die stark durch innere und äußere Erfahrungen beeinflusst wird.
Misshandlungen können die Würde verletzen, ohne notwendigerweise den Selbstwert zu beeinträchtigen. Ein starker Selbstwert kann helfen, die eigene Würde trotz solcher Verletzungen zu bewahren. Umgekehrt können innere Urteile den Selbstwert mindern, ohne die Würde in Frage zu stellen.
Hinweis: Die Unterscheidung zwischen Würde und Selbstwert zu verstehen, ist entscheidend, um Resilienz zu entwickeln und das Selbstwertgefühl in schwierigen Situationen zu bewahren. Wie Nathaniel Branden erinnert, wird Selbstwert durch einen lebenslangen Prozess der Selbstwahrnehmung und Selbstmitgefühl aufgebaut, während die Würde die unerschütterliche Grundlage unserer Menschlichkeit bleibt.
Ein sehr erklärender Text, Danke fürs Senden
Ein ganz toller Beitrag lieber Enrico! Vielen Dank dafür!