
In Beziehungen begegnen wir oft einer Vielzahl von Dynamiken – von inniger Nähe bis hin zu Spannungen und Konkurrenz. Der Wheel of Consent von Dr. Betty Martin bietet eine kraftvolle Methode, um Klarheit in diesen Interaktionen zu schaffen, sei es in liebevollen oder kompetitiven Kontexten. Doch wie kann dieses Modell auf scheinbar gegensätzliche Beziehungstypen angewandt werden? Und noch wichtiger: Wann ist es Zeit, eine Beziehung – sei es kooperativ oder wettbewerbsorientiert – zu beenden?
Der Wheel of Consent in liebevollen Beziehungen
In liebevollen Beziehungen – sei es romantisch, freundschaftlich oder familiär – geht es darum, ein authentisches Miteinander zu gestalten, in dem sich beide Seiten sicher und verbunden fühlen. Der Wheel of Consent hilft hier, die eigenen Bedürfnisse zu erkennen, auszudrücken und in Einklang mit den Wünschen der anderen Person zu bringen. Die zentrale Frage lautet: „Für wen ist diese Handlung?“
Geben (Serving): Das Geschenk der Fürsorge
In liebevollen Beziehungen bedeutet Geben, jemandem etwas zu schenken, was deren Freude oder Wohlbefinden steigert. Es ist ein Akt der Fürsorge, der jedoch nur dann authentisch ist, wenn er freiwillig geschieht.
Beispiel: Du bereitest dem anderen ein Essen, weil du weißt, wie sehr es diese Person freut. Es ist ein Geschenk, das von Herzen kommt, ohne Erwartung einer Gegenleistung.
Annehmen (Receiving): Sich öffnen und empfangen
Annehmen in einer Beziehung bedeutet, die Fürsorge oder Zuneigung der anderen Person mit Offenheit und Dankbarkeit zu empfangen. Hier geht es darum, bewusst zu fühlen und die eigenen Wünsche klar zu äußern.
Beispiel: Du erlaubst dir, eine liebevolle Berührung oder ein Kompliment zu genießen, ohne Schuldgefühle oder das Gefühl, etwas zurückgeben zu müssen.
Nehmen (Taking): Der Mut zur Selbstfürsorge
In einer gesunden Beziehung ist es ebenso wichtig, die eigenen Bedürfnisse zu priorisieren und für sich selbst zu sorgen – mit Zustimmung der anderen Person.
Beispiel: Du fragst deine Partnerperson, ob du ihre Hand halten darfst, weil dir die Nähe und Verbindung gerade wichtig sind, und sie stimmt dem zu.
Erlauben (Allowing): Grenzen setzen und vertrauen
Erlauben bedeutet, der anderen Person Raum für ihre Wünsche zu geben, solange es auch für dich stimmig ist. Es erfordert Selbstbewusstsein und Vertrauen, um klar zu sagen, was in Ordnung ist.
Beispiel: Du erlaubst deinem Gegenüber, dir etwas Liebes zu tun, z. B. ein Gedicht vorzulesen, auch wenn es vielleicht nicht deine erste Wahl wäre, solange es dir angenehm bleibt.
In liebevollen Beziehungen schafft der Wheel of Consent ein Fundament, auf dem Ehrlichkeit, gegenseitiges Verständnis und Respekt wachsen können. Es geht darum, das wahre Selbst zu leben und gleichzeitig die Bedürfnisse des anderen zu achten.
Red Flags in liebevollen Beziehungen
In kooperativen Beziehungen können manipulative Verhaltensweisen schwerer erkennbar sein, weil sie oft subtil in die Sprache und Dynamik eingebettet sind. Diese Warnzeichen (Red Flags) solltest du beachten:
Modalverben wie „müssen“, „sollen“, „nicht dürfen“: Wenn dir oft vermittelt wird, dass du etwas „musst“ oder „nicht darfst“, ohne dass ein echter Konsens hergestellt wird, kann dies ein Zeichen von Kontrolle oder Manipulation sein.
Unpersönliche Sprache: Formulierungen wie „Es wird genommen“, „Es wird gegeben“, „Es wird erlaubt“ verdeutlichen, dass Verantwortung verschleiert wird. Diese Passivität kann anzeigen, dass die andere Person die Machtstruktur nicht offenlegen möchte.
Fehlende Gegenseitigkeit: Wenn eine Person konstant empfängt, ohne selbst zu geben, oder immer nimmt, ohne die eigenen Handlungen abzustimmen, ist das ein klares Ungleichgewicht.
Was tun?
Wenn du feststellst, dass die andere Person ein „dirty player“ oder ein manipulativer Partner ist, gilt: Bring dich in Sicherheit. Suche nach Wegen, die Beziehung zu beenden, bevor sie zu viele emotionale, mentale oder soziale Schäden hinterlässt. Setze klare Grenzen und vermeide Konfrontationen, die die Situation eskalieren könnten.
Der Wheel of Consent in kompetitiven Beziehungen
In wettbewerbsorientierten Beziehungen treten oft Dynamiken wie Macht, Strategie und Maskenbildung auf. Hier hilft der Wheel of Consent, bewusst zu erkennen, welche Rollen eingenommen werden – und wie Unterwürfigkeit oder Überlegenheit gezielt eingesetzt oder überwunden werden können.
Geben (Serving): Strategisches Nachgeben
Im Wettbewerb kann Geben bedeuten, der anderen Person scheinbar einen Vorteil zu verschaffen, um langfristig die eigene Position zu stärken.
Beispiel: In einer Verhandlung gibst du der anderen Seite eine kleine Konzession, um Vertrauen zu gewinnen und später größere Forderungen durchzusetzen.
Maskenspiel: Unterwürfigkeit kann als Maske genutzt werden, um Stärke zu verbergen und die andere Person in Sicherheit zu wiegen.
Annehmen (Receiving): Gelegenheiten nutzen
Hier geht es darum, die Angebote oder Schwächen der anderen Partei zu erkennen und für den eigenen Vorteil zu nutzen.
Beispiel: Du nimmst eine Einladung zur Zusammenarbeit an, die dir Zugang zu wertvollen Ressourcen bietet, selbst wenn die andere Person dies nicht beabsichtigt.
Maskenspiel: Überlegenheit kann als Maske erscheinen, wenn du scheinbar dankbar bist, aber im Hintergrund eine strategische Agenda verfolgst.
Nehmen (Taking): Aktiv die eigenen Interessen verfolgen
In dieser Rolle suchst du gezielt nach Möglichkeiten, dir zu nehmen, was du brauchst – mit oder ohne Zustimmung, aber im Rahmen der Regeln.
Beispiel: Du setzt einen aggressiven Spielzug ein, um dir einen Vorteil zu verschaffen, während du die Reaktion der anderen Person einkalkulierst.
Maskenspiel: Hier könnte eine Maske der Stärke getragen werden, um Unsicherheiten zu überspielen und die Kontrolle zu behalten.
Erlauben (Allowing): Kontrolliert nachgeben
Das bewusste Zulassen von Handlungen der anderen Partei kann strategisch eingesetzt werden, um die eigene Position zu sichern.
Beispiel: Du erlaubst der anderen Partei, vorübergehend einen Vorteil zu nutzen, um deren Übermut oder Schwächen später auszuspielen.
Maskenspiel: Unterwürfigkeit kann hier bewusst inszeniert werden, um die Dynamik zu kontrollieren und die eigene Strategie zu verschleiern.
Red Flags in kompetitiven Beziehungen
Wettbewerbsorientierte Beziehungen basieren häufig auf einem vorgegebenen Set von Regeln (z. B. Geschäftsverträge, Spielregeln oder soziale Normen). Wenn diese Regeln missachtet werden, zeigt sich dies oft deutlicher als in kooperativen Beziehungen:
Regelverstöße („Dirty Play“): Wenn eine Partei bewusst die Regeln bricht, z. B. Abmachungen nicht einhält, Informationen manipuliert oder Ressourcen unfair verteilt, handelt es sich um einen klaren Vertrauensbruch.
Manipulation durch Übervorteilung: Wenn jemand versucht, dir durch geschicktes Täuschen langfristig zu schaden oder sich selbst einen unfairen Vorteil zu verschaffen.
Missbrauch von Machtpositionen: Hier wird Stärke ausgenutzt, um andere zu dominieren oder einzuschüchtern.
Was tun?
In wettbewerbsorientierten Beziehungen ist es meist einfacher, Konsequenzen zu ziehen:
Dokumentiere Verstöße: In geschäftlichen Kontexten kannst du Regelbrüche oder Vertragsverletzungen klar belegen und rechtliche Schritte einleiten.
Beende die Beziehung: Sobald ein „dirty player“ identifiziert ist, solltest du die Zusammenarbeit möglichst schnell und ohne unnötige emotionale Verstrickungen beenden. Ziel ist es, wirtschaftlichen oder beruflichen Schaden zu minimieren, während du die Beziehung abschließt.
Fazit: Brich aus, bevor der Schaden größer wird
Ob in liebevollen oder kompetitiven Beziehungen: Manipulation, Regelverstöße und ungesunde Dynamiken sind klare Zeichen, dass eine Beziehung keine Zukunft hat. Der Wheel of Consent hilft dabei, die Rollen und Dynamiken besser zu verstehen, aber auch Red Flags zu erkennen. Der wichtigste Schritt bleibt: Schütze dich selbst.
Egal, ob subtil in einer kooperativen Beziehung oder offensichtlich in einer wettbewerbsorientierten Beziehung – sobald sich Muster von Kontrolle, Manipulation oder unfairem Verhalten zeigen, gilt es, Konsequenzen zu ziehen. Versuche dabei, den Kollateralschaden für dich selbst und andere so gering wie möglich zu halten. Denn wahre Stärke liegt nicht nur darin, gesunde Beziehungen aufzubauen, sondern auch darin, ungesunde Verbindungen konsequent zu beenden.
Schöner Beitrag, vielen Dank, sehr aufschlussreich