In einer Welt, in der die Sehnsucht nach tiefer, emotionaler Verbindung und das Streben nach persönlichem Glück zentrale Themen sind, ist es verlockend zu glauben, dass eine andere Person uns komplett machen kann. Doch der Gedanke „Er/sie macht mich glücklich“ birgt potenziell toxische Züge, die unsere Beziehungen und unser Selbstverständnis grundlegend beeinflussen können. In diesem Artikel werfen wir einen wissenschaftlichen Blick auf das Konzept der Ko-Abhängigkeit und die Bedeutung der Autarkie in emotionalen Beziehungen, gestützt auf Forschungen, die nahelegen, warum ein gesundes Maß an Selbstständigkeit und gegenseitige Interdependenz für das Wachstum und das Wohlbefinden in Partnerschaften essentiell sind.
Ko-Abhängigkeit: Eine wissenschaftliche Perspektive
Ko-Abhängigkeit wird in der psychologischen Fachliteratur oft als ein Muster übermäßiger emotionaler oder psychologischer Abhängigkeit von einem Partner beschrieben. Diese Beziehungsform kann dazu führen, dass Individuen ihr eigenes Wohlbefinden, Entscheidungen und emotionales Gleichgewicht in die Hände einer anderen Person legen. Laut Melody Beattie, Autorin des Buches „Die Sucht, gebraucht zu werden“, zeichnen sich ko-abhängige Beziehungen durch ein übertriebenes Verantwortungsgefühl für das Glück und die Bedürfnisse des Partners aus, oft auf Kosten der eigenen Gesundheit und Autonomie.
Die Bedeutung der Autarkie
Autarkie, definiert als die Fähigkeit, unabhängig und selbstgenügsam zu sein, ist ein Schlüsselaspekt für die Entwicklung eines gesunden Selbst und für reife, ausgeglichene Beziehungen. Wissenschaftliche Studien, wie die von Deci und Ryan (2000) über die Selbstbestimmungstheorie, betonen, dass wahres Glück und Zufriedenheit aus der Erfüllung intrinsischer Bedürfnisse nach Kompetenz, Autonomie und sozialer Eingebundenheit entstehen. Die Autoren argumentieren, dass Beziehungen, die diese Bedürfnisse unterstützen, zur persönlichen Entwicklung beitragen, während Beziehungen, die von Ko-Abhängigkeit geprägt sind, diese Entwicklung hemmen können.
Mutuale Interdependenz als Ideal
Im Gegensatz zur Ko-Abhängigkeit steht das Konzept der mutualen Interdependenz, in dem beide Partner ihre Unabhängigkeit bewahren, während sie eine unterstützende und verbindliche Beziehung pflegen. Diese Beziehungsform erkennt die Bedeutung des individuellen Wachstums innerhalb der Partnerschaft an und fördert eine gesunde Balance zwischen Nähe und Distanz. Die Forschung von Dr. Sue Johnson, einer führenden Expertin auf dem Gebiet der Emotionsfokussierten Therapie, unterstreicht, dass eine sichere emotionale Bindung es Partnern ermöglicht, sowohl verbunden als auch autonom zu sein.
Schlussfolgerung
Die Vorstellung, dass unser Glück von einer anderen Person abhängt, kann uns in Muster der Ko-Abhängigkeit verstricken, die unser emotionales Wohlbefinden und unsere Beziehungsfähigkeit langfristig beeinträchtigen. Wissenschaftliche Erkenntnisse legen nahe, dass die Förderung von Autarkie und das Streben nach mutualer Interdependenz in Beziehungen einen gesünderen, erfüllenderen Weg darstellen. Indem wir lernen, unsere eigenen Bedürfnisse und Gefühle zu verstehen und zu respektieren, können wir Beziehungen aufbauen, die auf gegenseitigem Respekt, Unterstützung und echter Verbundenheit basieren, ohne unsere Unabhängigkeit zu opfern.
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Quelle
Beattie, M. (1987). Codependent No More. Hazelden Publishing. Beschreibt das Konzept der Co-Abhängigkeit.
Deci, E.L., & Ryan, R.M. (2000). "The 'What' and 'Why' of Goal Pursuits". Psychological Inquiry, 11(4), S. 227-268. Diskutiert die Selbstbestimmungstheorie und die Bedeutung von Autonomie.
Johnson, S. (2008). Hold Me Tight. Little, Brown Spark. Erkundet sichere emotionale Bindung in erwachsenen Beziehungen.
Bild bei Sergey Romanenko
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