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Körper haben oder Körper sein: Wie wir unseren Körper erleben


Wie die deutsche Sprache unser Verständnis von Körper und Seele prägt.


Zwei Menschen in enger Umarmung, mit glitzernden Körpern, symbolisieren Verbindung und Emotionen.
Foto bei Koolshooters

Ich muss etwas beichten: Eine Liebeserklärung an die deutsche Sprache und Kultur, die auch Freund*innen der Bodymind-Therapie gewiss bemerkt haben, könnte mit einem Beispiel beginnen, das tief in den Sprach- und Denktraditionen verwurzelt ist: der Unterschied zwischen „Körper“ und „Leib“. Dieses einzigartige sprachliche Konzept verdeutlicht die immense Kraft der deutschen Sprache, wenn es darum geht, komplexe Ideen über den menschlichen Körper, das Bewusstsein und das Selbst auszudrücken. Der Unterschied zwischen diesen Begriffen zieht sich nicht nur durch die Philosophie, sondern durch Psychotherapie, Psychologie und sogar Spiritualität und Religion.



Körper haben vs. Körper sein: Die philosophische Grundlage


In der Philosophie, insbesondere in der Phänomenologie, unterscheidet sich der „Körper“ (lateinisch corpus) vom „Leib“ (Leib oder soma). Philosoph*innen wie Maurice Merleau-Ponty und Edmund Husserl untersuchten, wie der Körper nicht nur als objektive Materie existiert, sondern auch als gelebte, subjektive Erfahrung.


Körper haben: In dieser Perspektive wird der Körper als ein Objekt betrachtet, das man besitzt. Er kann beschrieben, gemessen und analysiert werden. Der Körper ist hier ein funktionales Instrument, das wir nutzen, um in der Welt zu handeln. Diese Auffassung hat ihren Ursprung in einem mechanistischen Weltbild, das von René Descartes stark geprägt wurde. Der Körper wird als Maschine verstanden, die kontrolliert und optimiert werden kann. Auf biologischer Ebene entspricht dies der Vorstellung vom Bodymind-System, in dem der Körper als Träger der Instinkte und Triebe fungiert – das „innere Tier“, das auf Überleben, Fortpflanzung und Selbsterhaltung ausgerichtet ist. Dieses System beeinflusst unsere Entscheidungen und Handlungen oft unbewusst.


Körper sein (Leib): Der Leib hingegen ist der Körper, wie wir ihn erleben. Hier geht es nicht nur um das Funktionieren des Körpers, sondern um den Körper als Zentrum des Erlebens, als das Medium, durch das wir die Welt erfahren. Merleau-Ponty betonte, dass der Leib nicht einfach ein Objekt unter Objekten ist, sondern die Voraussetzung für unser Bewusstsein und unser Sein in der Welt. Wir erfahren die Welt immer durch den Leib und sind in diesem Sinne unser Leib. Hierin spiegelt sich auch unser körperliches Selbstbewusstsein wider – das Gefühl, nicht nur einen Körper zu haben, sondern auch in ständiger Verbindung mit unseren Empfindungen, Wahrnehmungen und inneren körperlichen Prozessen zu stehen.



Somatisierung und Konversion: Der Ausdruck des Leibes


Die Konzepte der Somatisierung und Konversion in der Psychologie und Psychoanalyse stellen Phänomene dar, bei denen der Leib versucht, unbewusste psychische Konflikte in Form von körperlichen Symptomen auszudrücken.


Somatisierung beschreibt den Prozess, bei dem psychische Belastungen oder unbewusste Konflikte in körperliche Beschwerden umgewandelt werden. Es handelt sich hier um einen Ausdruck, bei dem der Leib auf unbewusste Weise spricht. Laut dem Philosophen und Psychoanalytiker Georg Groddeck ist die Sprache des Leibes oft die letzte Möglichkeit, innere Konflikte zu kommunizieren, die das Bewusstsein nicht erreichen.


Konversion ist ein Konzept aus der Psychoanalyse, das auf Sigmund Freud zurückgeht. Hier wird ein psychischer Konflikt in ein körperliches Symptom umgewandelt, wie etwa bei einer Lähmung oder einem Sprachverlust, ohne dass eine organische Ursache vorliegt. Freud verstand Konversionssymptome als symbolische Ausdrucksformen unbewusster Wünsche und Konflikte, die der Leib in die physische Ebene überträgt.


Beide Phänomene sind eng mit dem Konzept des Leibes verbunden. Sie verdeutlichen, dass der Körper nicht nur ein biologisches Objekt ist, sondern auch eine Art „Subjekt“, das mit der Welt und dem eigenen Inneren kommuniziert.



Die Rolle des Leibes im psychosomatischen Verständnis


In der psychosomatischen Medizin wird der Unterschied zwischen dem objektivierten Körper und dem erlebten Leib zentral, um zu verstehen, wie körperliche Symptome Ausdruck seelischer Konflikte sein können. Viktor von Weizsäcker, ein Pionier der psychosomatischen Medizin, hat diesen Unterschied hervorgehoben, indem er erklärte, dass Krankheiten nicht nur biologische Prozesse, sondern auch „Schicksale“ des Leibes sind.


Der Leib ist nicht nur passiv, sondern agiert als aktiver Vermittler zwischen psychischen und physischen Zuständen. Wenn der Leib bestimmte Gefühle oder Konflikte nicht bewusst verarbeiten kann, drückt er sie in Form von somatischen Symptomen aus – dies ist der Kern psychosomatischer Erkrankungen.



Der Leib als Medium der Kommunikation


Im Unterschied zur Vorstellung eines „Körpers, den wir haben“, zeigt der Begriff des „Leibes“ die tiefe Verwobenheit von Körper und Psyche. Michel Henry betonte in seiner Philosophie der Verkörperung, dass der Leib ein „sich selbst fühlender Körper“ ist, der unser innerstes Bewusstsein verkörpert. Das körperliche Selbst ist untrennbar mit unserem emotionalen und psychischen Selbst verbunden. Das bedeutet, dass der Körper als Leib nicht nur passiv ist, sondern aktiv an der Formung unseres Bewusstseins und unserer Identität beteiligt ist.


Die Phänomene der Somatisierung und Konversion verdeutlichen, dass der Leib ein aktives Kommunikationsorgan ist. Wenn der bewusste Geist nicht in der Lage ist, bestimmte Emotionen oder Konflikte zu verarbeiten, tritt der Leib als Sprecher auf und vermittelt diese Erfahrungen auf körperlicher Ebene.



Schlussfolgerung: Der innere Dialog als Weg zu psychosomatischer Gesundheit


Für die psychosomatische Gesundheit ist ein tiefer innerer Dialog erforderlich, der sowohl das innere Tier, das in Form von Trieben und Instinkten in unserem Körper lebt, als auch die Deutung der Leibsprache umfasst. Das innere Tier, das die biologischen und instinktiven Aspekte unseres Seins verkörpert, steht im ständigen Dialog mit unserem bewussten Selbst. Die Anerkennung und Regulation dieser Instinkte sowie der bewusste Umgang mit körperlichen Empfindungen und Wahrnehmungen sind entscheidend, um ein Gleichgewicht zwischen Körper und Geist zu erreichen.


Ebenso wichtig ist die Fähigkeit, die Botschaften des Leibes – in Form von Empfindungen, Schmerzen und anderen somatischen Signalen – als Ausdrucksformen von psychischen Zuständen zu deuten und anzunehmen. Dieser Dialog zwischen dem inneren Tier und dem bewussten Selbst fördert die psychosomatische Gesundheit, da er eine ganzheitliche Wahrnehmung des Leibes und seiner Kommunikation ermöglicht.


Indem wir sowohl unsere instinktiven Triebe als auch die subtilen Signale unseres Leibes verstehen und integrieren, schaffen wir die Grundlage für eine tiefe Verbindung zu uns selbst und tragen so zu einem gesünderen und erfüllteren Leben bei.


In der modernen Philosophie und Psychologie wird ein grundlegender Unterschied zwischen dem Konzept des „Körper haben“ und dem „Körper sein“ diskutiert. Dieser Unterschied bezieht sich auf die Art und Weise, wie wir unseren Körper wahrnehmen, erleben und in der Welt handeln. Während der Begriff „Körper haben“ den Körper als physische, mechanische Entität beschreibt, verweist „Körper sein“ auf die gelebte Erfahrung des Körpers, den Leib, als Träger unserer subjektiven Existenz und unseres Bewusstseins. Dieser Unterschied hat weitreichende Implikationen in Bezug auf das Verständnis von psychosomatischen Phänomenen, wie etwa Somatisierung und Konversion, die als Ausdruck des Leibes betrachtet werden können.

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